Aus ihrem Gefühlschaos entstand ihre Kunst

Nach einem Schicksalsschlag verändert die Simone Urbanietz-Preiss aus Reutlingen ihr Leben – und wird so nicht nur zu einer erfolgreichen Künstlerin, sondern auch zum „Mutmacher“ für andere. 

2017 beginnt für Simone Urbanietz-Preiss ein neuer Lebensabschnitt. Gezwungenermaßen. Ihr Vater verstirbt plötzlich, sie erkrankt daraufhin an einer Angst-Störung. In der Kunst findet sie ihr neues Zuhause. Eine Geschichte über das Ausprobieren und den Mut, sein Leben radikal zu verändern.

Simone wischt mit einem Schwamm über eine Leinwand, die in pink und rot leuchtet. Mit weißer Farbe hebt sie die Strukturen hervor. Durch diese „Schichtarbeit“, wie sie es augenzwinkernd nennt, bekommt ihre abstrakte Kunst die typische Tiefe. In den sozialen Medien teilt die 38-Jährige aus Reutlingen fast täglich solche Clips, in denen die Entstehung ihrer Kunstwerke zu sehen ist. Das Ergebnis: bunte, knallige, abstrakte Kunst mit viel Gold. „Ich bin ein Mensch, der gerne Farbe um sich hat. Ich muss ja auch nicht leise sein und mich verstecken – warum denn?“, sagt sie und lacht. Ihre Kunstwerke haben sich mittlerweile über 200 Mal weltweit verkauft, sie leuchteten in New York von einer Anzeigetafel am Times Square – zum Verstecken gibt es wahrlich keinen Grund.

Und trotzdem gibt es diese Tage, an denen würde sie genau das am liebsten tun: sich verstecken. „Menschen, die meine Geschichte verfolgen, denen muss klar sein, dass ich nicht jeden Tag aufstehe und sage: Yeah, heute wieder volle Kanne positive Energie.“ Positive Energie das sei sowieso ein Hasswort von ihr. „Immer nur positiv, das geht ja gar nicht“, betont Simone. Nur ist genau das oftmals die Erwartungshaltung, mit der User in den sozialen Netzwerken unterwegs sind. „Alles soll immer easy-peasy laufen“, sagt die 38-Jährige. Nur ist das selten der Fall. Simone hat es selbst erlebt.

„Plötzlich waren es alltägliche Situationen wie Fahrstuhlfahren, die Zitteranfälle ausgelöst haben.“

2017 verändert sich ihr Leben radikal. Es ist das Jahr, in dem ihr Vater plötzlich durch einen Herzinfarkt aus dem Leben gerissen wird. Simone stürzt sich in ihren neuen Job als Rechtsfachwirtin, hatte erst kurz zuvor ihre alte Stelle gekündigt. Stress und Druck lassen sie in diesem Schockzustand funktionieren. Doch im Urlaub wird sie von allem eingeholt. Panikattacke. Krankenhausaufenthalt. Und zum Schluss die bittere Erkenntnis: Die Anzeichen kommen wieder. „Plötzlich waren es alltägliche Situationen wie Fahrstuhlfahren, die Zitteranfälle ausgelöst haben“, erzählt sie. Nach mehreren Aufenthalten in der Notaufnahme steht die Diagnose fest: Simone leidet an einer Angst-Störung. „Ich bin sofort offen damit umgegangen. Es war mir dann auch schnell klar, dass ein Therapieplatz allein nicht reicht, sondern, dass ich in die Klinik muss. Dort war ich dann auch acht Wochen“, berichtet sie.

All die Emotionen, die sich angestaut haben, müssen raus. Nur wie? Sie sei ein absoluter Kopfmensch, einen Ausgleich zu finden fällt ihr schwer, sagt sie. Schließlich ist es ihr Mann, der ihr das Malen vorschlägt. Und der wahrscheinlich nicht im Traum daran gedacht hat, was er mit dieser Idee auslöst. „Durch den Tod meines Vaters als einschneidendes Erlebnis habe ich Dinge überdacht, mich gefragt, ob ich so weitermachen möchte“, sagt Simone. Die Antwort ist ein klares Nein. Und das Malen entpuppt sich nicht nur als willkommene Abwechslung, sondern als neue Lebensaufgabe. „Malen hat meine Seele geheilt“, ist sich Simone sicher.

„Es ist für jeden möglich, diesen Schritt zu gehen, der einen seinen Träumen ein Stück näherbringt“

Für sie beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Simone akzeptiert die neuen Umstände. Die Angst-Störung, „die mich ein Leben lang begleiten wird. Das ist etwas, das du nicht aus dem Hirn rauslöschen kannst“. Und den Verlust ihres Vaters, „mit dem ich umgehen muss“. Aber sie schöpft daraus auch neue Kraft und allen voran Mut. Simone kündigt ihren Job, macht sich als Künstlerin selbstständig, richtet sich ihr eigenes Atelier in ihren vier Wänden in Reutlingen ein. „Ich bekomme viele Rückmeldungen, in denen es heißt, ich sei eine totale Inspiration. Weil ich eben meinen Job hinter mir gelassen habe, das alles aufgebaut habe“, erzählt Simone: „Und einige bewege ich vielleicht auch dazu, mal darüber nachzudenken, was sie lieber machen würden als das, was sie gerade tun. Es ist für jeden möglich, diesen Schritt zu gehen, der einen seinen Träumen ein Stück näherbringt.“

Auf ihre Selbstständigkeit folgt die Findungsphase, die vor allem mit Ausprobieren zu tun hat. Für Simone ist das eigentlich die Essenz der Kunst: „Wenn man schaut, wie die verschiedenen Kunststile überhaupt entstanden sind, dann kam das ja meist dadurch, dass es Menschen gab, die etwas ausprobiert haben. Und das, finde ich, hat mit Kunst zu tun, davon lebt die Kunst, vom Ausprobieren.“ Für sie war klar, dass in ihren abstrakten Werken Gold – „das ist meine Welt“ – eine Rolle spielen wird. Vermischt mit knalligen Farben. Ihr Stil hat sich über die Jahre verfestigt, die Arbeit mit unterschiedlichen Strukturen reizt sie bis heute. „Mir liegt das und es macht mir am meisten Spaß, mit verschiedenen Strukturen zu arbeiten. Für mich habe ich das mal so formuliert: Das Leben ist ja auch nicht glatt, es kommen Risse, es bleiben Narben. Es kommen aber auch viele schöne Sachen dazu. Diese Kombination aus Struktur, Farbe und der Wärme vom Gold ist einfach meins“, erzählt Simone.

„Erfolg hat mit ziemlich viel Arbeit und Selbstdisziplin sowie mit der Bereitschaft, auch Risiken einzugehen, zu tun.“

Die Autodidaktin schließt den Gang an eine Kunstschule übrigens kategorisch aus. „Du wirst dort von anderen Leuten bewertet, die dir sagen, ob sie das gut oder schlecht finden. Und ich möchte in meinem Leben nicht mehr bewertet werden. Ich möchte rausgehen mit dem, was ich zu sagen habe, und dann sollen mir die Menschen draußen, für die ich das mache, spiegeln, ob sie es gut oder schlecht finden“, stellt die Reutlingerin klar. Ihr Mut und ihr Durchhaltevermögen zahlen sich aus. Denn zwischendurch war es nicht immer einfach, auch das gibt Simone offen zu. Eine persönliche Marke in den sozialen Medien wie Instagram aufzubauen, „frisst unglaublich von einem selbst“. „Du musst sehr viel von dir geben, von deiner Persönlichkeit. Und du trittst immer und immer wieder in Vorleistung, damit die Leute überhaupt wissen, mit wem sie es zu tun haben“, beschreibt sie die Herausforderung. Wenn dann die Resonanz ausbleibt, kratze das schon auch am Ego. „Man muss sich selbst pushen und sagen: Da sind Leute, die hören mir zu. Weil sonst ja niemand meine Kunst kaufen würde und ich nicht den Zuspruch hätte“, sagt Simone.

Mit Glück, wie es ihr unlängst jemand in einem Kommentar unterstellte, habe ihre Karriere nichts zu tun. „Erfolg hat mit ziemlich viel Arbeit und Selbstdisziplin sowie mit der Bereitschaft, auch Risiken einzugehen, zu tun. Man muss immer darauf hinarbeiten, die richtigen Leute kennenzulernen und das Richtige zu tun“, betont sie. Und genau diesen Weg will Simone zukünftig weitergehen: „Ich arbeite jeden Tag daran, meinen Bekanntheitsgrad zu steigern. Weil ich einfach weiß, dass ich eine Message habe. Dass ich für andere Leute ein Halt und Mutmacher bin.“

Ich würde das so tatsächlich öffentlich nicht sagen. Vielleicht einfach, dass ich jeden Tag weiter mache, weil ich weiß……

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